Leiden und weiterkommen

Real Madrid hält sich beim 1:1 gegen den FC Barcelona königlich zurück, kommt dennoch ins Finale der Champions League und will dort am 15. Mai gegen Leverkusen Krieg der Sterne spielen

aus Madrid RONALD RENG

Darauf war Klaus Toppmöller bei seinem Besuch im Stadion San Bernabéu nicht vorbereitet: Dass ihn auf dem Weg in die Arena zwei Zuschauer beglückwünschen wollten. Verwirrt schaute der Trainer der derzeit besten deutschen Fußballelf die beiden Gratulanten an. Dass ihn nun fern der Heimat Fremde erkennen, ist für den Leverkusener Trainer offensichtlich noch gewöhnungsbedürftig; vor ein paar Wochen, als er in Liverpool einen künftigen Europacup-Gegner beobachtete, konnte er vor dem Match noch ungestört im Fanshop herumstöbern.

Ins Bernabéu wollte Toppmöller schon die ganze Saison, „um Real Madrid zum 100. Geburtstag zu gratulieren“, wie er immer sagte. Der Spruch wurde zum Sinnbild für Leverkusens Ambitionen in der Champions League: einfach was erleben, so viele berühmte Gegner und Stadien wie möglich kennen lernen. Nun kam Toppmöller in die spanische Hauptstadt, um zu sehen, ob vielleicht mehr drin ist für seine Mannschaft, als Real nur die Hand zu schütteln beim Champions-League-Finale am 15. Mai in Glasgow. Die Quintessenz seiner Studienreise kannte er jedoch schon, bevor er erlebte, wie sich Real Madrid, einen Tag nach Leverkusens Triumph über Manchester, im anderen Halbfinale mit einem 1:1-Unentschieden dank eines 2:0-Sieges im Hinspiel seines ewigen Nebenbuhlers FC Barcelona entledigte: Gegen den spanischen Meister wird Leverkusen einen Tag brauchen, an dem ihnen schon morgens beim Frühstück das Ei runterfällt und nicht zerbricht; an dem ihnen einfach nichts schief geht. „Ich war im Stadion, als Dortmund 1997 im Champions-League-Finale Juventus Turin 3:1 besiegte“, sagte Toppmöller: „An hundert Tagen hätte 99-mal Juve gewonnen. Aber es gibt immer diesen einen Tag.“

Ob ihm das Spiel am Mittwoch viel mehr Detailerkenntnis gebracht hat, darf bezweifelt werden. So wie gegen Barça wird Real wohl nie wieder spielen. Ihr 2:0-Vorsprung aus dem Hinspiel machte ihnen Angst. Sie trauten sich nicht zu stürmen. Ungewollt ließen sie sich von Barça das Spiel diktieren, obwohl der an diesem Abend beim Konterspiel wieder einmal majestätische Stürmer Raúl González Real kurz vor der Pause nervenschonend mit 1:0 in Führung gebracht hatte. Verteidiger Ivan Helguera mit einem astreinen Hackentrick ins eigene Tor besorgte den Ausgleich. „Gegen Leverkusen erwarte ich wieder ein Real Madrid im Angriff“, sagte Sportdirektor Jorge Valdano. „Das ist unser Spiel. Wenn wir versuchen zu verteidigen, leiden wir.“

Barça setzte Madrid mit seinem ästhetischen Flachpassspiel zu, eine Spielart, wie sie bekanntlich auch Leverkusen pflegt. Doch ist fraglich, ob das gegen Madrid grundsätzlich die rechte Methode ist. Wer versucht, mit Real mitzuspielen, spielt gefährlich: Wenn sie ihren Tag haben, gibt es wohl kaum ein Team, das in einem stilvollen, auf schönes Passspiel ausgerichteten Vergleich gut aussieht gegen Madrids Mittelfeld mit Zinedine Zidane, Luis Figo, Claude Makelele und dem Argentinier Santiago Solari, der in zwei, drei Jahren eine der Hauptfiguren im Spitzenfußball sein wird. Aufschlussreicher als das Spiel gegen Barcelona sind die Videos von Reals jüngsten Auswärtsspielen in der Liga, von der 0:3-Niederlage in San Sebastián und dem Verlustgeschäft in Pamplona (1:3). Wer gegen Madrid bestehen will, lernt man da, muss auf die Knie: Nicht versuchen, schöner als Real zu sein, sondern ihnen den Raum zur Entfaltung rauben, sie müde laufen, sie den rauen Atem spüren lassen.

Neun Niederlagen in der Primera División haben bewiesen, dass Real menschlich geblieben ist, der Schock gegen La Coruña im nationalen Pokalfinale (1:2) hat gezeigt, dass sie weiter druckempfindlich sind, auch wenn offiziell vom anderen Stern: „Team der Galaxis“ nennt sich der Klub zu seinem Hundertjährigen. Damit darüber nicht noch im nächsten Universum gelacht wird, ist Real verdammt, aus Glasgow das Silbergeschirr mitzubringen: Die Copa del Rey schon weg, die Meisterschaft bei vier Punkten Rückstand auf Valencia und zwei ausstehenden Spieltagen fast verloren – da liest sich die selbst ausgegebene Parole, zum Jubiläum alle drei Titel zu gewinnen, zunehmend komisch.

„Historisch“, sagte Sportdirektor Valdano, „klingt ein Duell Real gegen Leverkusen natürlich eindeutig.“ Nämlich: Acht europäische Meistercups gegen einen Uefa-Pokal, 27 spanische gegen keine deutsche Meisterschaft. „Aber Geschichte spielt nicht mit in einem Finale. In einem Endspiel zählt die Gegenwart, die Form, zählen die Nerven.“ Gegenwart und Form – das ist die Wahrheit, so kurios sie auch klingt – sprechen für Leverkusen. Bleiben die Nerven. Toppmöllers Team hat bewiesen, dass es fantastisch spielen kann, wenn es nichts zu verlieren hat. Nun kommt in Glasgow der schwierigere Part: aufzutrumpfen, wenn man alles zu gewinnen hat.